Die Kapelle Notre-Dame du Haut

Inhalt

DIE GESCHICHTE DES HÜGELS BOURLÉMONT

BIS 1944

Über die Geschichte des Hügels vor dem 11. Jahrhundert ist bis heute nichts bekannt. Die beherrschende Lage des Hügels am Ausgang der burgundischen Pforte, die das Rheintal mit dem Tal der Saône verbindet, legt eine strategische Bedeutung nahe. Möglicherweise gab es hier ein römisches Militärlager.

Die prominente Lage bot sich für die Anlage eines Kultortes an. Vermutlich wurde der Hügel schon zur Zeit der Christianisierung der Gegend im 6. Jahrhundert als Kultort genutzt.

Im 11. Jahrhundert wurde erstmals eine Marien-Wallfahrt erwähnt. Seither treffen sich Pilger aus der ganzen Region zur Feier Mariä Geburt am 8. September. Über eine Kapelle aus dieser Zeit ist leider nichts bekannt.

Erst seit dem 20. Jahrhundert findet eine zweite Wallfahrt anläßlich Mariä Himmelfahrt am 15. August statt.

Nach der französischen Revolution 1789 wird die Kapelle zum «Nationalgut» erklärt und verkauft – ein Wendepunkt in ihrer Geschichte. 1799 konnten 40 Familien aus Ronchamp die Kapelle kaufen, um sie wieder ihrer ursprünglichen religiösen Nutzung zuzuführen. Seither ist die Kapelle und ihre Umgebung Privateigentum.

Zwischen der Revolution und dem 2. Weltkrieg wurde die Kapelle mehrfach umgebaut und erweitert. 1913 brannte sie nach einem Blitzeinschlag teilweise ab. In den folgenden Jahren wurde sie wieder aufgebaut.

LE CORBUSIER KOMMT NACH RONCHAMP

LE CORBUSIER KOMMT NACH RONCHAMP

Die wiederaufgebaute Kapelle wurde 1944 während der Kämpfe in der Umgebung von Ronchamp bombardiert. Die Wehrmacht hatte sich auf dem Hügel verschanzt, einen strategischen Beobachtungsposten und einen Sender eingerichtet. Die französische 1. Panzerdivision rückte nach und nach vor, am 30. September konnte sie den Hügel einnehmen, am 2. Oktober den Ort Ronchamp.

Die Kapelle wurde bei den Kämpfen stark beschädigt. Zum größten Teil stammte der Bau aus dem 19. und 20. Jahrhundert und war weder historisch noch architektonisch von Bedeutung. Vor die Entscheidung gestellt, ob die Kapelle restauriert oder neu gebaut werden soll, wandten sich die Eigentümer an die Diözese Besançon. Dort hatte der Erzbischof Dubourg eine Kommission für sakrale Kunst gebildet, zu deren Aufgabe die Planung von Kirchen und ihrer Ausstattung gehörten, und die den Bau zahlreicher Kirchen in der Franche-Comté in einem modernen, zeitgemäßen Stil unterstützt hat. Eines der schönsten Beispiele dafür ist die Kirche Sacré-Cœur in Audincout bei Montbéliard und ihre Gestaltung von Fernand Léger und Jean Bazaine.
Für den Wiederaufbau wurden viele Entwürfe vorgeschlagen, doch keiner fand Gefallen bei der Kommission. Schließlich stimmte sie dem Vorschlag zweier Mitglieder zu, Le Corbusier zu beauftragen. Le Corbusier, nicht gläubig, lehnte es jedoch ab, für die Kirche zu arbeiten, die er als «tote Institution» ansah.
Die unermüdlichen Versuche, ihn zu überreden, führten schließlich dazu, daß er 1950 nach Ronchamp kam. Überwältigt vom Blick über die Hügel nahm er den Auftrag schließlich an.

DIE NEUE KAPELLE

Photo chantier Le Corbusier Bueb Ronchamp

Der Bau der Kapelle begann Ende 1953. Die Arbeitsbedingungen waren schwierig: Es gab keine befahrbare Straße, keinen Wasseranschluß, so daß Regenwasser gesammelt werden mußte, und die Stromversorgung bestand aus einem Generator. Der Beton wurde vor Ort gemischt und mit Eimern transportiert. Das Baumaterial ist einfach und kostengünstig: Abbruchmaterial der alten Kapelle, Zement und Stahl. Für Le Corbusier war das kein Problem: «Große Kunst entsteht aus einfachen Mitteln.»
Der Bauleiter war André Maisonnier, ein junger Architekt aus dem Büro von Le Corbusier. Der Polier war François Bona, damals gerade 23 Jahre alt. Die Maurerkolonne war klein, aber eifrig bei der Arbeit.
Für die einheimischen Bauarbeiter war es schwierig, Le Corbusiers Pläne umzusetzen. Der schwierigste Teil war die Dachmuschel aus Stahlbeton. Die Schalung wurde von 600 Holzsprießen gestützt. Die Arbeit wich stark vom Gewohnten ab: die filigrane Betonschale hat eine äußerst komplexe Form, und es standen nur einfache technische Mittel zur Verfügung.
Als die Bauarbeiten fast abgeschlossen waren, entwarf Maisonnier das Becken, das vor der Westseite das Regenwasser aus dem Wasserspeier aufnimmt. In einer Zisterne wird das Wasser gesammelt, es versorgt die Nebengebäude. Wahrscheinlich hat die Form keine symbolische Bedeutung, Maisonnier hat sich an den Formen orientiert, die Le Corbusier unter anderem beim Couvent La Tourette verwendet hat.
Seit der Einweihung am 25. Juni 1955 sind mehr als 60 Jahre vergangen. Die Kapelle ist noch immer in gutem Zustand, doch sie weist Risse und typische Schäden von Sichtbetonoberflächen auf, die restauriert werden müssen. Die Restaurierungsarbeiten wurden in Angriff genommen, doch es wird noch einige Jahre dauern, bis sie wieder in ihrer ursprünglichen Schönheit erstrahlt.

ENTDECKEN

DIE KAPELLE NOTRE-DAME DU HAUT

DER ENTWURF

Der Ausgangspunkt von Le Corbusiers Entwurf sind vier Wände, die den Himmelsrichtungen zugewandt sind. Nach Süden und Osten öffnen sich die konkaven Wände zur Welt, im Dialog mit den benachbarten Bergen. Die Nord- und Westwand verschließen sich. An der Wand nach Osten spielt sich das Wesentliche ab, hier stoßen zwei liturgische Bereiche aneinander: außen wird die Messe an den großen Wallfahrten gelesen, innen an gewöhnlichen Tagen. In den Türmen hängen keine Glocken, auch wenn ihr Aussehen dies vermuten läßt. Sie gehören zu den Seitenkapellen, die es schon in der früheren Kapelle gab. Die tragende Struktur der Kapelle besteht aus 15 Stahlbetonpfeilern, die in den Wänden stehen.

Da die Wände keine tragende Funktion haben, konnte der Architekt sie nach Belieben formen. Die Wände sind nicht, wie man erwarten würde, aus Stahlbeton. Sie wurden aus den Steinen der ehemaligen Kapelle gemauert, mit einen Spritzputz versehen und weiß gekalkt. Nur die Südwand ist trotz ihrer massiven Erscheinung nicht gemauert. Sie besteht aus einem Stahlbeton-Skelett, das innen und außen mit einer dünnen Schale aus Spritzbeton verkleidet wurde. Den oberen Abschluß der Kapelle bildet eine Stahlbetonschale.
Le Corbusier berichtete, daß er auf die Idee für die Form des Dachs kam, als er den Panzer einer Krabbe am Strand gefunden hatte. Oft bezog er die Inspiration für seine Bilder oder Bauwerke aus der Betrachtung gefundener Steine, Knochen oder Muscheln. Das Dach besteht aus zwei Stahlbeton-Schalen, die nur 6 cm dick sind. Diese bilden einen Höhlkörper, der seine Stabilität von sieben Zwischenwänden erhält, die ihrerseits mit den Pfeilern in den Wänden verbunden sind. Ein Netz dazwischen gespannter kleinerer Träger stabilisiert die beiden Schalen zwischen den Wänden.
Diese Konstruktion ist verhältnismäßig leicht und stabil und dient nebenbei der Wärmedämmung der Kapelle. Es ist nicht bekannt, ob Le Corbusier bei der sichtbaren Holzschalung des Dachs an ein Schiff dachte – vielleicht als Bezug zur Arche Noah. Auf jeden Fall ist das Meer überall in der Kapelle präsent, z.B. auf einem der Fenster und den Abdrücken der Jakobsmuscheln der Pilger in der Tür der Ostwand.
Das Mittelmeer und seine Kulturen spielten eine wichtige Rolle bei Le Corbusiers Arbeit. Viele Erinnerungen an seine Reisen flossen in den Entwurf der Kapelle ein. Mit dem südlichen Turm, den er «puits de lumière» (Lichtbrunnen) nannte, bezog er sich auf die Hadriansvilla aus dem 2 Jahrhundert. Erinnerungen an eine Moschee in Algerien flossen in die Gestaltung der Südwand mit ihren tiefen Fensterlaibungen ein, die das Licht filtern. Das wichtigste Vorbild war für Le Corbusier jedoch das Parthenon in Athen, das er 1911 besucht hatte –  wie Notre-Dame du Haut auf einem Hügel gelegen und einer Jungfrau geweiht. Das Parthenon war eine stetige Inspirationsquelle in seinem Werk.

DER INNENRAUM DER KAPELLE

«Der Innenraum der Kapelle ist eine Vollplastik in Hohlform. Wände, Dach und Boden, alles ist trotz seiner Schlichtheit Teil des Kunstwerks.» schreibt Le Corbusier. Es gibt kein Dekor, die Gestaltung wirkt nur durch die reine Form. Der Raum weitet sich zum Altar hin: der Boden fällt ab, die Dachwölbung hebt sich und wird flacher, die Wände rücken weiter auseinander. Dem ungeteilten Schiff der Kapelle gliedern sich drei Seitenkapellen an, die zur Kontemplation einladen.Eine der Seitenkapellen ist rot gestrichen. Wenn morgens die Sonne in ihr Oberlicht scheint, ist sie von einem flammenden Licht erfüllt. Ist es die Farbe des Bluts, des Opfers Christi? Der Architekt bleibt uns die Antwort schuldig.

Das Bestreben Le Corbusiers ist, daß wir unseren Blick zum Himmel heben: die Türme («puits de lumière») erstrahlen in einem göttlichen Licht, das die Gläubigen entzückt. Das gewölbte Dach des Kirchenschiffs scheint auf dem Licht zu schweben wie ein Symbol der Auferstehung.

Die Statue der Jungfrau mit dem Kind überstand den Krieg. Sie stammt möglicherweise aus dem beginnenden 18. Jahrhundert. In der früheren Kapelle war sie von 2 Engeln flankiert, die heute in der Porterie zu sehen sind.

Hoch in der Ostwand, im Gegenlicht platziert, mahnt sie an die Offenbarung: «Dann erschien ein großes Zeichen am Himmel: eine Frau, mit der Sonne bekleidet; der Mond war unter ihren Füßen und ein Kranz von zwölf Sternen auf ihrem Haupt.» In die Ostwand sind kleine Fenster eingelassen: aus den Löchern für die Gerüstanker wurden die Sterne. Am Morgen steht die Statue der Jungfrau wie eine übernatürliche Erscheinung im Licht der aufgehenden Sonne.

Die Gestaltung des Innenraums richtet sich nach dem Lauf der Sonne. Am Nachmittag scheint die Sonne in die Fensternischen der bis zu 3 Meter dicken Südwand und füllt die Kapelle mit indirektem Licht, passend für die Andacht. Die Oberlichter der beiden Kapellen in der Nordwand sind entgegengesetzt ausgerichtet. Während die östliche Kapelle im Tagesverlauf dunkler wird, wird die westliche heller.

Trotz der Schlichtheit ist der Innenraum der Kapelle nicht leer. Le Corbusier hat auch die Möbel und liturgischen Gegenstände entworfen, er war nicht nur Architekt, sondern auch Maler und, wie man heute sagen würde, Designer. Er vertrat die Ansicht, daß Architektur sich aus der bildenden Kunst entwickelt und ein Architekt diese kennen und als bildender Künstler tätig sein müsse.

Altäre, Weihwasserbecken und der Bodenbelag an den Eingängen und bei den Altären sind aus Naturstein, wodurch ihre Bedeutung betont wird.

Auch die Beichtstühle, das Kreuz und die Bänke wurden von Le Corbusier gestaltet. Lange dachte er über den richtigen Platz nach für das, was er die «Protagonisten» nannte: das Kreuz, den Altar und die Marienstatue. Das Kreuz stellte er seitlich hinter den Altar, in die Nähe der Jungfrau. Er wollte die beiden nahe beieinander, in freundschaftlichem Zusammenwirken.

Der Tabernakel stand ursprünglich auf dem Altar. Nach der Änderung der Regeln für die Liturgie durch das 2. vatikanische Konzil fand er links neben dem Altar einen neuen Platz. Kreuz, Bänke und Beichtstühle sind aus dem wetterbeständigen brasilianischem Iroko-Holz. Sie wurden von dem bretonischen Schreiner Joseph Savina hergestellt, der auch viele Skulpturen nach Entwürfen von Le Corbusier hergestellt hat. Die Bänke stehen nur auf einer Seite der Kapelle, auf der Seite der Marienstatue. Le Corbusier war der Ansicht, der Mensch müsse stehend beten, und wollte gar keine Bänke aufstellen. Die Auftraggeber setzten durch, daß wenigstens einige Bänke aufgestellt wurden, der restliche Platz wurde freigehalten.
Le Corbusier hat auch die Emaillearbeiten am Tor in der Südfassade und am Tabernakel gestaltet und die Fenster bemalt. Neben ihrer liturgischen Bedeutung sollen die lebhaften Farben die Schönheit des Sichtbetons zum Schwingen bringen, wie Le Corbusier dem Emailleur Jean Martin aus Luynes in Département Indre-et-Loire erklärt. Der Tabernakel stammt aus dem Jahr 1957, auf seiner Tür ist das Osterlamm dargestellt.

Die Bilder auf den Seitenflächen zeigen Vögel, die wie die byzantinischen Erzengel vier Flügel haben, und Schmetterlinge, die Symbole der Seele. Auf der Rückseite symbolisiert ein Sonnenuntergang am Meer Tod und Auferstehung. Wie bei den Fenstern und der Türe stellt Le Corbusier nur Dinge aus der Natur und dem Weltall dar. Auf dem Tabernakel steht ein Kreuz.

Auf die Fenster und das Südportal malte Le Corbusier Motive aus der Natur und dem Weltall. Es sind Abbildungen der Schöpfung, doch auch christliche Symbole: ein Vogel symbolisiert den Heiligen Geist, Maria wird als «leuchtend wie die Sonne» beschrieben. Zahlreich sind die Bezüge auf die Lauretanische Litanei (Litanei von der Seligen Jungfrau Maria) und das Buch der Weisheit: «schön wie der Mond», «Morgenstern», «rosa mystica» (geheimnisvolle Rose).

Diese Symbole findet man auch auf dem großen Portal. Le Corbusiers Darstellungen lassen –möglicherweise bewußt– verschiedene Deutungen zu. Auf der Innenseite des Portals ist eine Erhebung in den Himmel mit zwei betenden Händen dargestellt. Ist es die Himmelfahrt Mariä oder die des aufrichtig Glaubenden?

La Chapelle Notre Dame du Haut à RONCHAMP_ Haute Saone
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